Market Views, 16 Dez 2023
Wenn aus Aufschieben Anschieben wird
Der Advent lädt dazu ein, all jene Dinge zu erledigen, die man das ganze Jahr aufgeschoben hat. Auffallend oft wird daher im Dezember noch schnell an die eigene Vorsorge und Geldanlage gedacht – was an den Börsen zu einem starken Dezember führt. Die Notenbanken der Industriestaaten haben diese habituell bedingte Tendenz zudem noch unterstützt, indem sie den Zinszyklus nun ganz offiziell beendet haben (bis auf Japan – die haben den letzten Zinszyklus erst gar nicht mitgemacht).
Der Markt spielt auch mit: Die Einkaufsmanager stellen sich weltweit auf ein neutral laufendes Q1.2024 ein, in den USA ist man sogar einen Tick expansiver. Und die Rezessionssorgen? Die bleiben. Amüsant sind nun die Social Media-Gurus und Finporn-Größen, die teils großartige Erklärungen liefern, warum nach einer Leitzinssenkung 2024 eine Rezession folgen sollte: „Weil’s immer so war.“ [Zitat: TikTok Der Aktionär – gesehen am 14.12.2023]
Es gibt einen guten Grund, warum jeder, der für seine Aussagen haftbar gemacht werden kann, den Satz „Man kann aus der Entwicklung in der Vergangenheit nicht auf die zukünftige schließen“ als Disclaimer anbringt: Weil es tatsächlich so ist. Das Geheimnis liegt nämlich in der Kausalität und nicht in den Leitzinsen. Die Zinsen wurden 2022/23 nicht wegen einer überhitzten Wirtschaft angehoben, sondern wegen Überliquidität und galoppierender Inflation. Die Kausalität 2024 ist also nicht vergleichbar mit bisherigen Neustarts eines Konjunkturzyklus.
Daher nun, speziell für den TikTok-Aktionär, kausal korrekt erklärt: Zinsen werden in der Regel gesenkt, wenn eine überhitzte Volkswirtschaft abgekühlt ist, also der Konsum auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Durch billigere Kredite wird die Kaufkraft angehoben, allerdings erst nach und nach. Bis die Wirkung am Markt spürbar ist, sinkt der Konsum weiter und damit auch die Margen von Unternehmen (die Kosten der Unternehmen werden nun auf weniger verkaufte Stücke bzw. Dienstleistungen umgelegt). DESHALB fallen nach ersten Zinssenkungen die Aktienkurse. 2024 hat nun einen anderen Kausalzusammenhang, weshalb die Börsen vieles bereits 2023 vorweggenommen haben. Zudem wird auf eine mögliche Übersteuerung durch die Notenbanken geachtet – und zwar von den Notenbanken (Powell in seiner FOMC-Rede vom 13.12.2023).
Die Adventzeit ist jene Zeit im Jahr, in der aus Aufschieben Anschieben wird. Dabei sollte es doch eine Zeit der Besinnung sein: Auf Ursprünge. Auf Fakten. Auf Kausalzusammenhänge.
Das war die vergangene Woche
Asien
Dem annualisiert um -2,9% gefallenen japanischen BIP will die BoJ mit einer weiterhin expansiven Geldpolitik entgegenwirken – der BIP-Deflator (5,3%) unterstützt diese für den JPY bullishe Strategie, ebenso der Tankan Herstellungsindex (steigt von 8,0 auf 12,0 Zähler; neutral = 0). Chinas VPI sinkt weiter von -0,2% auf -0,5% und damit klar in den deflationären Bereich. Dennoch bleiben die Leitzinsen unverändert – das Dilemma der PBoC wurde am 27.10. hier beschrieben.
Europa
Das EU-BIP (annualisiert von 0,1% auf 0,0% gesunken) hat nicht beeindruckt – der gesunkene VPI in Deutschland (-0,7% ggü. dem Vormonat) leitete jedoch eine Erholungsrallye des DAX ein. Europas Titel werden nun auch von den stark gestiegenen ZEW Konjunkturerwartungen (von 13,8 auf 23,0 Zähler, neutral = 0) gepusht. Dementsprechend blieben die Leitzinsen unverändert. Die Einkaufsmanager bleiben mit 47,0 Zählern weiterhin knapp unter der Neutrallinie (50,0). Die annualisiert um 5,3% gestiegenen Lohnkosten sind die Nachwehen der hohen Inflation und haben die Börsenkurse nur geringfügig abgebremst.
USA
Der VPI sinkt von 3,2% auf 3,1%. Die Kapazitätsauslastung liegt stabil bei 78,8%, was auf eine fortlaufende moderate Entspannung des US-Arbeitsmarkts schließen lässt. Die Zinsen werden bei 5,5% belassen und die Zinsprojektion (US-Zinskurve) zeichnet eine klare Markterwartung hinsichtlich baldiger Zinssenkungen durch die Fed (diesen Erwartungen hat Powell in seinem FOMC-Statement am 13.12. auch nicht widersprochen): Die Zinsen sollten in 12 Monaten von 5,1% auf 4,6% und in 24 Monaten dann auf 3,6% sinken. Die Zinskurve wird damit weniger invers. Der weiterhin niedrige Öl-Lagerbestand bewegt den WTI-Preis nicht.
Was die neue Woche bringt
Die Notenbanken der Industriestaaten haben das Feld geebnet – nun sind die Verbraucher am Zug. Trotz einer unveränderten Grundskepsis spürt man dennoch an allen Märkten die Erleichterung, dass der Zinszyklus nun beendet ist.
Asien
Japans BoJ wird ihrer Ankündigung, die Leitzinsen mit -0,1% unverändert zu belassen, treu bleiben, ebenso die PBoC (Leitzinsen bei 3,45%). Mehr Marktwirkung wird am Freitag der japanische VPI haben (zuletzt 3,3%). Aufgrund gesunkener Lebensmittelpreise wird ein niedrigerer Wert erwartet.
Europa
Die ifo-Geschäftsaussichten für Deutschland bleiben mit 85,5 Zählern (neutral = 100) stabil auf Vormonatsniveau. Der Erzeugerpreisindex (annualisiert bei -11,0%) korreliert mit der um -6,8% ggü. dem Vorjahr gesunkenen Industrieproduktion. Demnach bleiben die Verbraucher skeptisch, was die Zukunft angeht (Verbrauchervertrauen jeweils unverändert in Deutschland -27,0 Zähler, in der EU -16,5; neutral = 0).
USA
Die wichtigsten Makrodaten sind das annualisierte US-BIP, das bei 5,2% erwartet wird, und die stabilen Konsumdaten (auf Vorjahresniveau). Der Philly Fed Herstellungsindex nähert sich mit einem Anstieg von -5,9 auf -3,0 Zähler weiter der Neutrallinie. Abgerundet wird dieses am Donnerstag veröffentlichte Lagebild am Freitag durch die persönlichen Konsumausgaben (0,5% ggü. Vormonat) in Relation zum Lohnwachstum (+0,4% ggü. Vormonat). Dadurch sinkt der Inflationsdruck weiter.
Fazit
Die Märkte gehen ohne Überraschungen in die letzte Adventwoche. Getrieben werden sie vor allem von den Positionierungsbewegungen der Anleger für 2024. Die Entwicklung der letzten Woche kann sich also durchaus fortsetzen und uns grüne Weihnachten bescheren.
Dieser Artikel ist auch im Geld Magazin und im Börse Express erschienen.
Autor: Alexander Putz
Quellen: WIFO, Bloomberg, weiterführend empfohlen: Wiener Börse Wissen: Konjunktur- und Marktzyklus
Hinweis: Die vorliegende Marketingunterlage stellt keine Anlageberatung, Anlageanalyse oder Anlageempfehlung dar. Insbesondere ist sie kein Angebot, bzw. keine Aufforderung zum Stellen eines solchen, und keine Empfehlung/Aufforderung zum Kauf, Verkauf oder einer anderen Handlung (z.B. Halten) von Finanzprodukten. Die steuerliche Behandlung hängt von den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Kunden ab und kann künftigen Änderungen unterworfen sein.